• en
  • de

Hafen Wismar gewinnt an Geschichte:
zwei historische Schiffswracks sind untersucht und werden geborgen – darunter wurde ein drittes Wrack entdeckt

WISMAR – Im Rahmen der laufenden Hafenerweiterung des Seehafens Wismar werden, seit September 2016, zu zwei Unterwasserfundstellen archäologische Untersuchungen an zwei historischen Wracks durchgeführt. Das Spezialunternehmen UWA-Logistik GmbH hat die Dokumentation, Bergung und Sicherung übernommen. Die Voruntersuchungen der Fundstellen zeigten unter massiven Deckschichten jeweils die Reste eines Schiffsrumpfes. Erste Datierungen deuten darauf hin, dass beide Schiffe zwischen 1200 und 1250 gebaut wurden. Der hervorragende Erhaltungszustand, der nach der fachgerechten Freilegung der Wracks festzustellen war sowie das bemerkenswerte Alter sind Grund genug, dass selbst erfahrene Archäologen mit Begeisterung über einen „besonderen Fund“ sprechen. Im Laufe der Untersuchung wurden die Schiffe Schicht für Schicht von Sand, Muscheln und Schlamm befreit. Überraschenderweise entdeckten die Forschungstaucher vor Kurzem unter einem der Wracks ein Drittes. Es ist ebenfalls sehr gut erhalten und datiert in die Zeit von Anfang bis Mitte des 13. Jahrhunderts. Zeugnisse der Schifffahrt aus dieser Epoche sind extrem selten und für die Forschung ein wahrer Glücksfall, denn jedes Wrack hat seine eigene Geschichte.

Die Schiffe liegen auf circa 1,5 bis 3 Meter Wassertiefe im Flachwasserbereich der Wismarer Bucht. Das südlichstes Wrack ist bis zu einer Länge von 20 Metern erhalten und konnte noch bis zu einer Breite von 6,5 Metern dokumentiert werden. Seine massiven, aus Eiche gefertigten Spanten und Planken, letztere sind bis zu 8 cm dick, lassen vermuten, dass es sich einst um ein großes Schiff mit hoher Nutzlast handelte. Zwischen den Spanten fanden die Forschungstaucher eine massive Brandschicht aus Holzkohle und angekohlten Hölzern. Auch der restliche Schiffsrumpf zeigt starke Brandeinwirkung, die auf einen Schiffsbrand hindeutet. Zwischen der Holzkohle fanden sich zwei Pilgerzeichen als Belege für Reisen nach Riga (Lettland) und Rom (Italien). Als weitere Besonderheit darf ein angekohlter, direkt auf den Planken liegender, menschlicher Oberschenkelknochen angesehen werden. Die Beantwortung der Fragen nach den Hintergründen des Schiffsuntergangs bedarf jedoch weiterer Untersuchungen.

Etwa 50 Meter nordwestlich vom ersten Wrack wird derzeit das zweite Schiff ausgegraben. Es ist circa 18 Meter lang, Bug- und Achtersteven sind vorhanden. Erhalten ist die Backbordseite mit den vergleichsweise dünneren Spanten und Planken. Auch dieses Wrack wurde aus Eiche gebaut. Nur einige grob gearbeitete Hölzer aus Birke und Nadelholz deuten auf spätere Reparaturen hin. Zwischen den Hölzern fanden sich mehrere, gut erhaltene Schuhe beziehungsweise Stiefel, zwei Kochtöpfe aus Bronze und eine Kochstelle. Im Umfeld der Kochstelle aus Ziegeln und gebranntem Lehm wurden Fisch- und Säugetierknochen entdeckt, möglicherweise die Zutaten für eine Mahlzeit an Bord. Die Planken sind geklinkert und mit Eisen- und Holznägeln verbunden. Im Heckbereich sind vermutlich Reste der Decksaufbauten erhalten. Die Beobachtungen lassen vermuten, dass das Schiff im Flachwasser lag und nach Süden kippte. Eine Nordwestwindlage könnte dafür verantwortlich gewesen sein. Da viele brauchbare und nützliche Gegenstände im Schiff verblieben sind, ist die absichtliche Versenkung durch den Eigentümer unwahrscheinlich. Vielleicht kenterte das Schiff bei Sturm und lag schon im Flachwasser auf der Seite. Eine Reparatur unterblieb, vielmehr wurde die aus dem Wasser ragende Bordwand abgebaut oder durch Wind und Welle zerstört. Davon zeugen viele Trümmerhölzer, von denen noch einige über der intakten Bordwand gefunden wurden. Mit der Zeit wurden die Hölzer von Sand, Muscheln und organischen Ablagerungen bedeckt und blieben somit erhalten.

Forschungstaucher der UWA-Logistik saugten bis zum Frühjahr 2017 die mächtigen Deckschichten über dem nördlichen Wrack ab. Darunter fanden sich viele Hölzer, später auch südlich vom eigentlichen Schiffsrumpf. Anfänglich wurden diese als Trümmerfeld des bereits bekannten Wasserfahrzeuges interpretiert. Umso überraschender war es, als man unter circa einem Meter Sand Schiffsteile entdeckte, die den klaren Schluss zuließen, dass hier ein weiteres Wrack zum Vorschein kam. Obwohl das Wrack bislang nur zu einem Drittel freigelegt wurde, zeigt sich, dass es sich dabei um einen weiteren Ausnahmefund handelt. Erste Holzdatierungen legen ein Alter um die Mitte des 13. Jahrhunderts nahe. Bislang wird vermutet, dass es bis zu einer Länge von 16 bis 18 Metern und einer Breite von 5 bis 6 Metern erhalten ist. Die ursprüngliche Länge des Schiffes könnte sogar über 20 Meter gewesen sein. Wie die beiden anderen Wracks liegt das Schiff mit dem Bug in Richtung Fahrrinne und ist nach Süden gekippt. Dadurch hat sich der Rumpf nach Süden hin bis zum Ansatz der aufgehenden Bordwand erhalten. Der damit nach oben ragende, nördliche Rumpfteil ist dicht am Kiel abgebrochen und nicht mehr vorhanden. Bei den bisherigen Sondierungsarbeiten fanden sich zwischen den Spanten ein fast vollständiger Lederschuh, Keramik und Tierknochen, jedoch keine Hinweise auf die Ladung oder Ballaststeine. Die mächtige Sandschicht im Wrack deutet hingegen auf einen starken Sturm hin, denn in sehr kurzer Zeit musste viel Material in und an das Schiff gespült worden sein. Ob die beiden nördlichen Schiffe dem gleichen Ereignis zum Opfer gefallen sind, kann nur schwer beantwortet werden. Sicher ist hingegen, dass das größere der beiden Schiffe zuerst gesunken sein muss, da es teilweise unter dem anderen liegt. Sollte dies der Fall sein und bestätigt sich die zeitnahe Datierung der Schiffe, deutet dies auf eine Nutzung sehr unterschiedlicher Schiffstypen zur gleichen Zeit hin. So ist das Letztere, mit seinem V-förmigen Kielbereich und der Rumpfkonstruktion, eher eine größere Version eines in Dänemark gefundenen nordischen Handelsschiffes. In seiner Bauweise ist es nicht mit dem südlichsten, verbrannten Wasserfahrzeug vergleichbar. Eine abschließende Einschätzung kann jedoch nur nach Beendigung der Ausgrabungen und der anschließenden Auswertung erfolgen. Bis dahin müssen die Unterwasserarchäologen der UWA-Logistik noch die letzten Hölzer der ersten beiden entdeckten Wracks bergen. Im Anschluss werden die Hölzer dokumentiert und vor Rügen in einem Unterwasserdepot eingelagert.

Um nach Abschluss der Ausgrabung eine wissenschaftliche Auswertung zu ermöglichen, muss jede Grabung zeichnerisch dokumentiert werden. Dazu wurden bisher Handzeichnungen durch geübte Forschungstaucher angefertigt. Da diese Form der Dokumentation sehr zeitaufwendig ist, setzt das Team auf ein relativ neues Verfahren in der Unterwasserarchäologie – die Structure from Motion (SfM) Methode. Bei der SfM-Methode wird eine 3D-Oberfläche aus 2D-Bildinformationen am Computer errechnet. Ein entscheidender Faktor bei der Aufnahme unter Wasser ist, dass der Fotograf permanent seine Position verändert und das Objekt, in diesem Fall das Wrack, somit aus vielen unterschiedlichen Perspektiven fotografiert. Mittels leistungsstarker Computer und spezieller Softwarelösungen wird die Grabungsfläche anschließend virtuell dreidimensional (3D) nachgebildet. Im Fall der nördlichen Grabungsfläche besteht eine solche Darstellung aus weit über zehntausend Bildern. So können selbst große Objekte unter Wasser, wie in diesem Fall die mittelalterlichen Wracks in der Wismarer Bucht, vollständig dargestellt und ausgewertet werden.

Diese Gesamtdarstellung ist besonders hilfreich, da für den Taucher aufgrund eingeschränkter Sichtverhältnisse und der beachtlichen Ausdehnung des Fundareals, ein derartigen Gesamteindruck unter Wasser nicht möglich ist. Da das Wrack nur in Einzelteilen geborgen, untersucht und eingelagert werden kann, ist diese Form der Dokumentation für den Fundzusammenhang umso wichtiger. 

Über UWA-Logistik GmbH in Kürze:

Das Unternehmen wurde 2009 gegründet. Zeitgleich wurden zwei vorhandene Arbeitsboote der Unterwasserarchäologie in Mecklenburg-Vorpommern übernommen. Den Mittelpunkt stellt das 2009 angeschaffte und nach umfangreichem Umbau seit 2012 in Dienst befindliche Tauchereinsatz- und Forschungsschiff, die „GOOR II“, dar. Das Unternehmen beschäftigt zurzeit circa 16 feste und freie Mitarbeiter. Das Team aus Wissenschaftlern, Forschungstauchern und Seepersonal bietet die Logistik rund um Unterwassergrabungen, Meeresforschungseinsätzen (Biologie, Archäologie, Geologie) und Seevermessungen. Das Unternehmen übernimmt auf Wunsch auch die gesamte Verantwortung für Forschungs- und Grabungsprojekte auf bzw. unter Wasser. Die Mitarbeiter sind für Taucherarbeiten sowohl im Flachwasser (Boddengewässer, Hafenanlagen, Landnähe) als auch für die offene See ausgerüstet und geschult. Das Einsatzgebiet ist die Ost- und Nordsee. Ein Teil der Boots- und Schiffsflotte ist trailerbar und somit zum Beispiel auch im Mittelmeer einsetzbar. Das Unternehmen verfügt über weitere Forschungsausrüstungen wie: Side-Scan-Sonar, Multibeam, Magnetometer, ROV, UW-Video, UW-Foto, Spezial-Taucherausrüstungen (Helmtauchgeräte, Schlauchversorgung für Taucher, UW-Telefon usw.).

Die Pressemeldung als Download hier klicken: pr_2017_07_14

Fotos © Martin Siegel, UWA-Logistik GmbH

Weitere Impressionen der Grabung, Fotos © UWA-Logistik GmbH (Bilder nicht zur weiteren Veröffentlichung frei gegeben!):